Sonntag, 21. April 2013

"Zurück zum Sonntagsbraten" oder der gute Omnivore

Hallo Allerseits,

erstmal noch eine kleine Entschuldigung für die eher holprig erscheinenden Einträge, aber zur Zeit läuft es nicht immer so gut und der Blog ist dann leider jene Aktivität, die als erstes vernachlässigt wird.

Nun aber zum Thema: Ich esse Fleisch. Ich esse es sogar sehr gerne. So gerne, dass ich es am liebsten morgens, mittags und abends essen würde. Ich mag mein Fleisch auch sehr gerne in seiner natürlichen Form und als solches identifizierbar, also ein blutiges Steak oder einen Gänsebraten. Allerdings wurde auch ich mit einem Gewissen und einem funktionierendem Verstand geboren. Mir ist deshalb klar, dass Fleisch offensichtlich nicht an einem Busch oder Baum wächst, sondern dass ein Lebewesen sterben muss, damit ich sein Fleisch essen kann. Das finde ich auch okay. Ich bin dem Tier dankbar, auch wenn ich diese Dankbarkeit nicht so zelebriere wie ein Indianerstamm, über den mich V. aufgeklärt hat.
Wenn nun ein anderes Tier für mich stirbt, sollte es in meinen Augen auch verhältnismäßig gut behandelt werden, sofern das mit der Aussicht auf den sicheren Tod möglich ist. Ich rede jetzt von Pflege, Nahrung und Lebensraum. Es ist ein Fakt, dass teures Fleisch von einem Tier, das zu Lebzeiten ordentlich versorgt wurde, bedeutend besser schmeckt und gesünder ist. Wie gerade erwähnt ist solches Fleisch teurer, so kostet eine ordentliche Weihnachtsgans dann auch gerne mal 100 €, aber ich denke eine solche Zahlungsbereitschaft sollte man auch haben. Die inflationäre Vernichtung von Fleisch, die mancher noch "essen" nennt, ist bisweilen erschreckend, besonders unter der Prämisse der immer niedrigeren Preise. Es gibt in meinen Augen zwei Dinge zu bedenken:
  1. Um ein Kilogramm Fleisch zu produzieren, wird das Dreifache an Nahrung bei Fütterung verbraucht, weshalb schon hier eine Rechtfertigung steckt, warum man problemlos dreimal soviel zahlen sollte, wie für die gleiche Masse anderer Nahrungsmittel (und das würde ja nur die Fütterung decken).
  2. Nach der Nahrung muss das Tier ja nun auch untergebracht und irgendwann geschlachtet und dann auch noch transportiert werden, was alles Geld kostet, besonders wenn das Tier auch mal etwas Sonne sehen und vielleicht nicht gestapelt schlafen soll.
Es ist leider genauso klar, dass eine effiziente Fleischproduktion mit Dumpingpreisen für das Endprodukt unumgänglich ist, wenn jeder jeden Tag wenigstens zu zwei Mahlzeiten Fleisch konsumieren will und das tun die meisten, denn ja auch die Wurst auf der Stulle hat mal gelebt.
Ich glaube nicht, dass Vegetarismus die einzige Lösung ist und ich weigere mich zu glauben, dass man nur mit solch extremen Einstellungen Signale geben kann. Tatsächlich würde ich lieber das altbewährte Modell des Sonntagsbratens wieder sehen, nach dem es nur zwei- bis dreimal die Woche Fleisch gibt, welches dann auch von entsprechender Qualität ist. Die Kosten würden sich im Grunde kaum ändern, denn man würde ja weniger essen, aber dieses Wenige ist entsprechend teurer, allerdings auch besser.
Worauf ich hinaus will ist, dass man eine neue alte Einstellung zu Fleisch haben sollte, allerdings nicht einfach, weil man es sich nicht leisten könnte, sondern aus purer Vernunft und Gewissen.
Bevor ich mich an diesem Punkt allzu sehr aufhänge noch eine andere Sache:
Ich möchte mit all dem nicht den Vegetarismus als Lösung vorschlagen, sondern nur dazu aufrufen ein Bewusstsein dafür zu entwickeln was und wen man isst und wie das Fleisch seinen Weg auf den Teller fand. Es ist okay, Fleisch zu essen, allerdings sollte man dabei nicht die Hintergrundgeschichte verdrängen müssen, um es genießen zu können.

Viele Grüße
Marbolous

PS: Ich habe V. kürzlich motivieren wollen und habe ihr einen Deal vorgeschlagen: Wenn sie 5 kg abnimmt, ernähre ich mich 2 Wochen vegetarisch, 5 weitere Kilogramm und ich mache 4 weitere Wochen und so weiter. Ich hoffe nur, dass es sie nicht so anspornt, dass ich bald neben einem Skelett erwache ;-)

Sonntag, 7. April 2013

Berlin 2013 Tag 2 und 3.1: Faulheit und Entdeckertum

Berlin ist eine große und schöne Stadt. Sie fühlt sich ein wenig wie Heimat an. Ich habe keine besonderen touristischen Gefühle, kein Bedürfnis die Klassiker zu erleben. Das mag natürlich daran liegen, dass unsere Familie aus der Gegend kommt und ich schon oft hier oben war. Vielleicht liegt es aber auch an einer Entscheidung, die ich tief in mir drin getroffen habe. Die Entscheidung, etwas zu wagen, etwas Neues zu beginnen. Jetzt ist aber erst mal Urlaub angesagt.
Der zweite Tag unseres Aufenthalts war besonders von einem geprägt. Faulheit. Einfach mal so einen ganzen Tag nichts tun, sondern nur im Bett liegen und das Leben genießen. Vollkommen verdient. Sie hat schließlich gerade vorgestern ihre Masterarbeit vollendet und abgegeben und ich verdiene ein Brötchenimperium … naja zumindest gibt es jede Menge Schichten. Das Sahnehäubchen der Faulheit ist natürlich der Lieferdienst für das Abendessen. Chinesisch. Sehr lecker. Und dann auch zeitig ins Bett, schließlich ist Schlaf gesund … oder so …

Der dritte Tag bricht an. Heute soll es aber auch mal vor die Tür gehen. Schließlich ist morgen Karfreitag und an so einem Feiertag sind die Öffnungszeiten bekanntlich eher begrenzt oder gar gänzlich abwesend. Also auf in die U-Bahn. Primark soll es sein. Ich will ja jetzt nicht mit dem Finger zeigen, aber mein erster Gedanke zum Thema Berlin war tatsächlich nicht ein Kleidungsdiscounter aus England, aber hey die haben ja auch mal ein Viertel der Stadt besetzt. Es war furchtbar. Wo soll ich beginnen? Dem Hauptgrund für den Horror: Ferien. Wie bereits erwähnt kann man in diesem Geschäft, welches inzwischen einen gewissen Kultstatus hat, günstig Kleidung und Kleinkram jeglicher Art erstehen, weshalb besonders Teenager die Tore Primarks stürmen. Theoretisch kein Problem, aber in dieser schulfreien Zeit ist vom demografischen Wandel nichts zu spüren. Blöd. Grund Nummer zwei sind die Brutmaschinerie und ihre Panzer. Hier gibt es gleich zwei Kritikpunkte. Auf der menschlichen Ebene ist es eine Grausamkeit einen so kleinen Menschen in einer kleinen Schale fixiert durch ein enges Geschäft zu schieben, wo der Stress in dicken Wolken durch die Luft schwebt. Auf der logistischen Ebene die Situation vergleichbar mit der Zerstörung des Todesstern. Irgendwie muss der Torpedo durch die 2 Meter breite Öffnung und das kann gut gehen, muss aber nicht. Und da diese Damen, wenn man sie denn noch so nennen darf, weder über die Leichtfüßigkeit noch den BMI eines Jedis verfügen, schlägt die Mission noch vor dem Erreichen der Stationsgräben. Der Hass macht sich breit. Ich mag Menschenmassen nicht besonders. Meine Freundin spürt mein Unbehagen und reagiert verständnisvoll. Glück gehabt. Wir verlassen diese Konsumhölle zeitnah und erblicken den Konsumhimmel: Toys“R“Us. Also ab dafür!
Kinderträume steigen auf. Wir streifen durch die Gesellschaftsspiele. Staunen über die verrückten Variationen oder Themenadaptionen der bekannten Klassiker. Es keimt der Wunsch ein Stück rückwärts zu altern. Nun zum Lego. Wäre ich kein Mann, würde wohl nun eine Träne der Rührung über meine Wange laufen. So viele schöne Sachen. Der Wunsch des Kindwerdens verwandelt sich in das Begehren die Packungen aufzureißen und alles aufzubauen. Der Laden ist angenehm ruhig. Glücklicherweise scheint die Zielgruppe weniger die Kinder, als mehr die Eltern einzuschließen, die noch auf der Arbeit sind. Hehe. Abteilung für Abteilung streifen wir durch den Laden und schwelgen in Erinnerungen, alten Leidenschaften, neuen Ideen und dem kindlichen Spieltrieb. Mit einem breiten Grinsen und - dank Mutter Vernunft - einem leeren Einkaufswagen verlassen wir unsere kleine Kolonie des Nimmerlands.
Die Shoppingsensation findet hier aber noch nicht ihr Ende. Schließlich waren wir noch in keinem typisch deutschen Laden. Deshalb ist unser nächstes Ziel ein Wahrzeichen des deutschen Kapitalismus. Das KaDeWe. Dieses Bollwerk bietet wirklich alles und das in bester Qualität. Da man als Lärche und Nachtigall bereits mit schönen Federn geschmückt ist, kann man die Abteilungen für Mode und Make-up geflissentlich überspringen und direkt zu Spielzeug und Büchern vorspulen. Wir streifen durch die Regale. Das Angebot ist weniger überwältigend als erwartet, dafür aber genauso teuer. Mir war zu diesem Zeitpunkt allerdings schon bewusst, dass das Ware Goldstück dieses Warenhauses in der obersten Etage wartet. Die Feinkostabteilung. Gängeweise Leckereien. Von totem Tier über stinkenden Käse bis hin zu süßen Pralinen und das war nur der Teil für die feste Nahrung. Außerdem gibt es dort erlesene Teesorten, seltene Biere und ausgewählte andere Getränke. Abermals mit astronomischen Preisen, aber auch zum Teil durchaus gerechtfertigt. Hier können wir dann auch nicht widerstehen und packen ein kleines Tütchen Bonbons, ein paar Gummiteile (ohne Gelatine) sowie eine Stange weißes Nougat ein und grinsen schon spitzbübisch voller Vorfreude auf die Nascherei. Wieder ein Punkt der wahrlich vollen Liste abgearbeitet.

Samstag, 6. April 2013

Berlin 2013 Tag 1.4: Endlich da



Angekommen. Der Berliner Hauptbahnhof. Ein gigantischer Bau. Sehr schön. Wir wollen weiter. Es geht zuerst in die S-Bahn, zum Zoologischen Garten. Es ist faszinierend, denn abermals können wir einen äußerst skurrilen Menschen beobachten. Ein stockbesoffener Kerl mit seiner Flasche noch in der Hand. Grölend und singend. Oh ja, die Großstadt.  Er beginnt sein Schicksal zu beleidigen, sofern ich ihn richtig verstehe, wobei er sich nicht vor dem exzessiven Gebrauch von Fäkalsprache scheut und selbst ich mich ertappe, erstaunt festzustellen welche Wort man adjektivieren, substantivieren und in Zusammenhang bringen kann. Eine etwas dramatische Wendung nimmt das Ganze allerdings, als der Gebeutelte einem Kinde gut zuzusprechen versucht, was die umstehenden Damen nicht begrüßen. In ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit schaffen sie es letztendlich auch den Unhold zu vertreiben, ohne dass es allzu sehr eskaliert.
Der Reise letzter Teil soll nun im Untergrund stattfinden. Tatsächlich sogar absolut ohne Auffälligkeiten, was an sich eher überrascht, wo man doch als Mensch vom Land gerade die U-Bahn als den Sammelort des Bösen vermutet, da es dort dunkel, muffig und dreckig ist. Offensichtlich eine Fehlannahme, denn es ist sauber und geruchsneutral. Die Menschen sind nicht nervig oder aufdringlich und der gute alte Zen ist näher denn je.
Endlich in der Wohnung angekommen. Koffer fallenlassen. Die Mäntel ablegen. Zurücklehnen. Ruhe. Das ist gut. Das Erste, was man nach so einem Trip will, ist ausruhen. Und entsprechend gehen wir zuerst einkaufen, weil wir sonst Hunger leiden müssten. Keine schöne Vorstellung. Mit zwei Rucksäcken und einem Jutebeutel - mit einem Logo der Toten Hosen … In Berlin … - bewaffnet geht es raus. Es ist nach wie vor kalt und windig, aber es ist nicht schlimm. Wir genießen die neue Stadt und erkunden die Geschäfte. Zugegeben, wir haben nur zwei Läden aufgesucht. Kaiser’s und Denn’s. Aber hey man sollte klein anfangen, schließlich sind wir noch etwa zwei Wochen hier.
Mit vollen Taschen begeben wir uns also wieder zu Wohnung. Auf dem Weg überfliegen wir diverse Speisekarten der vielen Lokale, um auch potenzielle Ausgehziele zu finden. Nun dürfen wir uns aber auch endlich der Faulheit hingeben und werfen uns in einem bequemen Schlabberlook ins Bett und ruhen aus. Wenige Stunden später machen wir uns Spaghetti Veggienara und schauen etwas fern. Klingt zwar nach einem eher schwachen Urlaubsabend, aber nach den letzten paar Wochen ist genau so eine Abendgestaltung genau das, was wir uns wünschen und was wir brauchen. Entsprechend früh gehen wir auch an diesem Abend ins Bett zum Schlafen. Ein guter erster Urlaubstag. Wir freuen uns schon auf jeden, der da noch kommen mag.

Freitag, 5. April 2013

Berlin 2013 Tag 1.3: Neuer Zug, neue Familie



Wir erreichen Minden. Ein weiterer Bahnhof, eine erneute Konfrontation mit dem Durchzug eines Bahnsteigs. Diese Eigenart scheint also kein lokales Phänomen zu sein, sondern eine klimatische Verschwörung. Vielleicht aus der schwächelnden, inländischen Textilindustrie, um den Absatz hässlicher Schals … Schäle … Halswärmer zu erhöhen. Während ich oben bibbere, holt sie von unten etwas zu trinken. Sie berichtet von den Preisen. Auf dem Land scheint das Geld zu sitzen, oder auf Grund der Bevölkerungsdichte sind die ansässigen Kaufleute gezwungen, an einem Kunden das Gleiche zu verdienen, wie jene in einer Großstadt an 20 …
Wir sind im IC. Nur noch 2,5 Stunden. Unsere Sitzplätze sind schon besetzt, aber wir pochen nicht auf die Reservierung, da noch genug Platz ist. Lediglich unsere Koffer müssen wir nun geschickter im Waggon verteilen. In unserem Vierer sitzt noch ein älteres, ich glaube, holländisches Ehepaar. Sympathische Leute. Reden nicht zu viel. Rechts von uns sitzt eine kleine, deutsche Familie. Ich will ja nicht zu gehässig wirken, aber sie sind weder schön, noch glauben sie anscheinend, dass Schweigen Gold ist. Es sind per se keine verbalen Wasserfälle, aber wenn es um Ruhe geht, werde ich anspruchsvoll. Der Herr Vater sitzt mit grimmigem Blick an seinem Smartphone, vielleicht auf der Suche nach der Zoomfunktion, die Frau Mutter löst ein Kreuzworträtsel und beobachtet argwöhnisch jeden „Neuen“ im Waggon und einer der beiden Herren Söhne hört ein Hörspiel. Es ist interessant. Er ist nicht quengelig, er startet lediglich ein wütendes Geheule, als sein Player streikt, womit er scheinbar seinen Vater freundlich bitten möchte, sich um das Problem zu kümmern, was jener auch prompt tut. Außerdem hat selbiger Sohn scheinbar noch nicht verinnerlicht, dass nur weil er wegen der Kopfhörer seine Mitmenschen nicht hört, weshalb diese lauter mit ihm reden müssen, dieses Prinzip nicht umgekehrt gilt und er seine normale Lautstärke nutzen könnte. Karma-Payback? Möglich.
Die Reise geht weiter. Ich habe mein Magazin gelesen, schließlich liegt morgen auch schon die neue Ausgabe am Kiosk, und die Lärche hat ein Nickerchen eingelegt. Tatsächlich war die letzte Stunde insgesamt erstaunlich ruhig. Gespenstisch.
Hach ja. Gott sei Dank! Auf die Familie von nebenan ist Verlass. Auch wenn es so ruhig war, dass der Herr Vater nun der Last des Doppelkinns nachgegeben hat und der Kopf nun leblos nach vorne hing, im Schlaf versunken, muss er nun feststellen, dass sein lieber kleiner Sohn, nennen wir ihn einfach mal Kevin, jegliche Idylle zerschlagen kann. Die kleine Bratze (man bedenke, dass ich an sich nichts gegen Kinder habe) greift nun auf das altbewährte Arsenal zurück. Waffen aus einer Zeit der Kassettendecks und Wanderlieder. „Ich muss mal aufs Klo!“ Schlag Nummer 1 „Sind wir schon da?“ und „Wie lange fahren wir noch?“ Schlag Nummer 2. Sofortiger Doppel-K.O. Die Mutter gibt sich resigniert. Das Kreuzworträtsel ist verschwunden. Entweder wurde es also als unlösbar oder fertig abgelegt, leider galt meine Konzentration diesbezüglich eher meinem eigenen Magazin. Sie begleitet den kleinen Blondschopf auf den Pott. Ist ja auch alles nicht so einfach. Wieder im Sitz unterhalten sich die beiden Kinder. An sich sogar in erträglicher Lautstärke. Nun begehen die Eltern aber einen uralten Kardinalfehler. Sie bitten die beiden um Ruhe „Psh“ „Pssssst“ „Seid doch mal leise“ Die Kinder werden lauter. Das ist aber tatsächlich nicht das Schlimmste an der Sache, sondern die Tatsache, dass sie sich nun auch beobachtet fühlen und somit jeder Laut der Kleinen eine Scham vor dem Rest der Fahrgäste ist. Ich fürchte ich muss eine große Summe spenden, um mein Karmadefizit von heute abzufedern, denn ich genieße die Situation.
Die Kinder sind still … naja fast. Als Alternative zum Quatschen haben sie sich nun einem Kartenspiel gewidmet. Cluedo. Eine nette Idee? Nein. Die Fragerei nervt extrem. Zugegeben unter anderen Umständen wäre es mir wohl egal, aber heute bin ich viel zu früh aufgestanden, sitze 5 Stunden in der Bahn und will eigentlich doch nur meine Ruhe. Ein schlimmer Zustand, denn in jenem Moment, in welchem man dieses Bedürfnis nach Ruhe entwickelt, erhebt sich in gleichem Maße eine Abneigung gegen Alles, was mit dem Thema Stress und Unruhe assoziiert wird. Was ich dem Kleinen wohl zu Gute halten kann ist die Tatsache, dass er beim Zocken den Ton aus hatte beziehungsweise Kopfhörer verwendet hat.
Noch eine gute halbe Stunde. Ich lehne mich zurück und schaue aus dem Fenster. Ich sollte entspannen. Vielleicht sehe ich irgendwo da draußen ja den Zen auf einer Liege mit einem Drink inklusive Schirmchen. Irgendwo dort zwischen den Bäumen im Schnee mit nichts weiter am Leibe als einer Badehose, aber was soll’s? Es ist schließlich der verdammte Zen. Meine Gedanken rasen wieder der Zeit voraus und landen bei der letzten noch bevorstehenden Etappe: Dem Weg vom Hauptbahnhof zur Wohnung. Kein schöner Gedanke. Ich glaube, ich gehe bis dahin nochmals auf die Suche nach dem Zen auf der Innenseite meiner Augenlider.

Donnerstag, 4. April 2013

Berlin 2013 Tag 1.2: Von Klingeltönen und dem Orient



Klingeltöne. Klingeltöne haben ja die Funktion, uns darüber zu informieren, dass wir angerufen werden. Deshalb sollten sie definitiv zwei Eigenschaften mitbringen: 1) Man sollte sie vom öffentlichen Störgeräusch (eigentlich eine wirklich nette Umschreibung für andere Menschen) differenzieren können und 2) sollten sie laut genug sein, um ihren wohligen Klang aus der Handytasche heraus in unsere Ohren hinein zu transportieren. Ich bin zum Beispiel eine Niete darin einen Klingelton zu finden der Kategorie 1) erfüllt, ohne dass er mich gleichzeitig dazu veranlasst mein Handy – Entschuldigung - Smartphone in Kleinteile zu zertreten; das wäre auf Dauer doch recht teuer. Kategorie 2) wird übrigens in diesem Fall auch obsolet, weshalb ich beim guten, alten Vibrationsalarm bleibe. Worauf ich nun hinauswill ist der asiatische Herr hinter mir (ich maße mir einfach mal nicht an seine Nationalität zu bestimmen), der in unregelmäßigen Abständen angerufen wird. Der Klingelton lässt sich weitgehend als nervenaufreibende Symbiose aus melodischem Pfeifen und unerotischem Stöhnen beschreiben, welche das allseits beliebte Weihnachtslied „Jingle Bells“ vollkommen neu zu interpretieren versucht - im MÄRZ! Er scheint also ein euphorischer Weihnachtsfan zu sein … -  mit der gängigen Lautstärke eines Rockkonzerts – Ich spreche da aus Erfahrung. Dieser Klingelton sowie dessen Lautstärke lassen ihn deutlich als überambitioniert erscheinen.
Dies bringt mich direkt zum nächsten Punkt: Gespräche. Direkt neben mir sitzen eine junge Dame und ein Herr, der später eingestiegen ist. Aus dem Verlauf des Gesprächs lässt sich schnell interpretieren, dass die beiden sich zuvor nicht kannten. Der Mann ist für seine mangelnde Berührungsangst zu beneiden, die Lady für ihre Sitznachbarn aber leider nicht, denn dieser kann reden wie ein Waschweib. Vielleicht bin ich einfach so unsozial und vielleicht sieht sie ja Potenzial in ihm, aber unabhängig davon, wie die Geschichte der Beiden in den nächsten Stunden und Jahren weitergeht, finde ich dieses ununterbrochene Gequatsche ziemlich brecheerregend. Da ist mir der Asiate mit seinem lautstarken Telefoniestil schon fast lieber, da mir dank Sprachbarriere die Syntax seiner Worte verschleiert bleibt. Nicht so bei der ebenso lautstark telefonierenden Dame schräg hinter mir, deren persönlichen Probleme zu banal sind, um sie weder zu ignorieren noch sich nicht über selbige aufzuregen. Das Leben ist eine Prüfung und manchmal hab ich das Gefühl mal wieder einfach nicht gut genug vorbereitet gewesen zu sein … Anm.: Der Kerl und das Mädel haben sich sogar schon Handcreme geteilt!
Die Reise geht weiter. Bielefeld. Bielefeld? Bielefeld! Es gibt Bielefeld. Zumindest spricht, nachdem wir den Hauptbahnhof angefahren sind, einiges dafür. Man könnte sagen die Chancen für Bielefeld Existenz stehen höher denn je. Vielleicht waren aber auch all die Gebäude nur Kulisse. Ich kann mich auch an kein fahrendes Auto oder ähnliches erinnern. Oh je, Bielefeld ist wohl doch eine Verschwörung.
Es findet eine weitere demographische, waggoninterne Umschichtung statt. Die Umgebung bekommt einen beinahe angenehmen Charakter. Besonders, als das arme Mädchen von nebenan endlich aussteigen darf. Anhand der Verabschiedung muss man annehmen, dass diese Geschichte wohl hier auch ihr jähes Ende findet.
Ich fühle mich auf dem Endspurt zum Zen der Reise, als nun schräg vorne und somit zu allem Überfluss voll in meinem Blickfeld ein Grüppchen Oberstufler oder Erstis sich in einem Vierer niederlassen, deren Konversationsniveau ähnlich berauschend ist wie Bingoabende bei Tante Hildegard. Aber um mir den oben erwähnten Endspurt endgültig zu versauen, fragt mich nun die Ohrenfrikadellenfabrik von nebenan, ob nicht kurz mein Handy für einen Anruf ins Festnetz nutzen dürfe. „Ich habe keine Freiminuten“ war das erste was mir einfiel und so übte ich meine kleine, persönliche Rache für den akustischen Terror der letzten Stunden. Mein Karmakonto für heute schreibt dicke rote Zahlen, aber ich fühle ein klein wenig besser. Lustig wie das so funktioniert.
„Baden wie in 1001 Nacht“, liest meine Freundin vor. Ich schau aus dem Fenster. Ein Freizeitbunker für Badefetischisten schmückt die Landschaft. An der Seite eine im Freien stehende Tunnelrutsche. „Baden wie 1001 Nacht …“, wiederhole ich. Ich versuche mir das Szenario vorzustellen. In der Wüste. Eine Tunnelrutsche aus leichtem Kunststoff. In der Sonne. Baden? Oder garen? Ich stelle mir eine fernöstliche Dampfgarvariante vor, bei der die Speise durch die spiralförmige Rutsche gejagt wird, wodurch auch die Gewürze auf eine vollkommen neue und innovative Art und Weise in die Mahlzeit einziehen und diese verzehrfertig unten rauskommt. Ausgebufft diese Morgenländer … ausgebufft diese Morgenländer …

Mittwoch, 3. April 2013

Berlin 2013 Tag 1.1: Die Reise beginnt



Die Reise beginnt. Die Koffer sind tatsächlich vor dem Start gepackt, die Zimmer überprüft, denn auch wenn sowohl eine beheizte Wohnung, als auch gut gelüftete Räume verführerisch klingen, so sollte der geneigte Reisende während eines längeren Fortbleibens davon absehen, um einerseits  exorbitante Heizkosten und andererseits ungewollte Besucher abzuwenden. Als guter Freund trägt man natürlich beide Koffer runter. Nicht etwa weil man die Dame liebt, sondern vielmehr, weil es einem einen guten Verhandlungsgrund, sowie viele Sympathiepunkte bei anderen Passanten einbringt. Natürlich ist die Aktion unter dieser Prämisse karmatechnisch für den Arsch, aber man kann nun mal nicht alles haben.
Wir stehen im ersten Zug. Eine dieser schicken S-Bahnen. Nicht so gut, wenn man damit Stunden lang reisen will, aber absolut adäquat für den Trip zum Hauptbahnhof. Der Zeitplan ist überragend. Naja beinahe. Man unterschätzt halt doch, wie sehr es in so einem Bahnhof ziehen kann. Besonders bei diesen Temperaturen. Da ist man dann doch froh, wenn man nicht die volle Viertelstunde bis zur Abfahrt draußen warten muss, sondern lediglich zehn Minuten. Zehn Minuten Hoth, zehn Minuten Nordpol, zehn Minuten „The Day After Tommorow“; ihr versteht …
Nun im Zug. Irre, das Ding ist praktisch leer. Also ab in den begehrten Vierer und sitzen. Einen Koffer haben wir vorübergehend auf einer Kofferablage am Ende des Wagens abgelegt, aber dieses Konzept erscheint auf Dauer wenig Vertrauen erregend, weshalb wir das Schätzchen lieber wieder in unsere Mitte holen. So haben wir uns hier also nun gemütlich zwischen unserem Gepäck eingerichtet und können die Menschen, die nicht so viel Glück mit der Platzwahl haben beobachten und im Stillen bemitleiden. Was sollen wir auch für sie tun? Wir würden ja einen Platz anbieten, aber da ist mir doch das eigene Hemd näher und man stellt fest, wie materialistisch man doch ist. Verdammter Kapitalismus … hmmm … ok bald mal wieder einem Obdachlosen 50 Cent in die Hände gedrückt, dann kann ich wieder gut schlafen. Schöne Welt.
In den fortwährenden Beobachtungen ist es immer wieder erstaunlich, wie die Menschen durch diese nun wirklich nicht besonders breit ausgebauten Gänge laufen. Energisch und zielgerichtet laufen sie aufeinander zu mit festem Blick, wartend, wer denn nun als erstes ausweicht. Schon blöd, wenn die Antwort ‚Keiner‘ lautet. Die Ausweichtechniken des modernen und gebildeten Menschen sind ähnlich ausgefuchst, wie der Versuch eines Kleinkindes den Würfel nun doch irgendwie durch den Kreis zu drücken. Wichtig ist hierbei, dass man das Gepäck stets neben sich hat, da es A) unfassbar schwer ist, selbiges vor oder hinter sich zu halten und B) die guten Stücke in gerade erwähnter Position auch nicht vor Diebstahl oder Naturkatastrophe geschützt sind. Da die Teilnehmer dieses sozialen Rituals auch schon zuvor nicht davon abzubringen waren sich zu bewegen, wird dieser Usus auch nun nicht abgelegt und man versucht quasi parallel aneinander vorbei zu kommen. Der engagierte Leser stellt nun fest ‚Verdammte Axt, der gegebene Platz wird doch optimal genutzt. Warum sollte dies nicht funktionieren? ‘ Mir ist es selbst ein Rätsel, aber das Keuchen und Stöhnen lässt vermuten, dass der Komfort hier dann doch eher kleingeschrieben wird. Die genervten, bösen Blicke lassen klar erkennen, dass der Andere Schuld hat. Gewonnen hat natürlich der, der zuerst böse guckt. Wieder eine Parallele zum Kleinkindertum; ich fürchte ein Freudexkurs wird fällig.
Schon so viel passiert und wir sitzen immer noch im RE nach Minden, wo wir dann erst in den IC umsteigen nach Berlin. Deshalb beschließe ich auch dies gerade niederzuschreiben. Deshalb und weil ich Zugfahren unterm Strich dann doch eher öde finde. Ich versuche mir einen emotionalen Keks von der Freundin zu holen, indem ich ihr den begonnen Reisebericht zeige … fehlgeschlagen … die Lärche ist müde …