Donnerstag, 4. April 2013

Berlin 2013 Tag 1.2: Von Klingeltönen und dem Orient



Klingeltöne. Klingeltöne haben ja die Funktion, uns darüber zu informieren, dass wir angerufen werden. Deshalb sollten sie definitiv zwei Eigenschaften mitbringen: 1) Man sollte sie vom öffentlichen Störgeräusch (eigentlich eine wirklich nette Umschreibung für andere Menschen) differenzieren können und 2) sollten sie laut genug sein, um ihren wohligen Klang aus der Handytasche heraus in unsere Ohren hinein zu transportieren. Ich bin zum Beispiel eine Niete darin einen Klingelton zu finden der Kategorie 1) erfüllt, ohne dass er mich gleichzeitig dazu veranlasst mein Handy – Entschuldigung - Smartphone in Kleinteile zu zertreten; das wäre auf Dauer doch recht teuer. Kategorie 2) wird übrigens in diesem Fall auch obsolet, weshalb ich beim guten, alten Vibrationsalarm bleibe. Worauf ich nun hinauswill ist der asiatische Herr hinter mir (ich maße mir einfach mal nicht an seine Nationalität zu bestimmen), der in unregelmäßigen Abständen angerufen wird. Der Klingelton lässt sich weitgehend als nervenaufreibende Symbiose aus melodischem Pfeifen und unerotischem Stöhnen beschreiben, welche das allseits beliebte Weihnachtslied „Jingle Bells“ vollkommen neu zu interpretieren versucht - im MÄRZ! Er scheint also ein euphorischer Weihnachtsfan zu sein … -  mit der gängigen Lautstärke eines Rockkonzerts – Ich spreche da aus Erfahrung. Dieser Klingelton sowie dessen Lautstärke lassen ihn deutlich als überambitioniert erscheinen.
Dies bringt mich direkt zum nächsten Punkt: Gespräche. Direkt neben mir sitzen eine junge Dame und ein Herr, der später eingestiegen ist. Aus dem Verlauf des Gesprächs lässt sich schnell interpretieren, dass die beiden sich zuvor nicht kannten. Der Mann ist für seine mangelnde Berührungsangst zu beneiden, die Lady für ihre Sitznachbarn aber leider nicht, denn dieser kann reden wie ein Waschweib. Vielleicht bin ich einfach so unsozial und vielleicht sieht sie ja Potenzial in ihm, aber unabhängig davon, wie die Geschichte der Beiden in den nächsten Stunden und Jahren weitergeht, finde ich dieses ununterbrochene Gequatsche ziemlich brecheerregend. Da ist mir der Asiate mit seinem lautstarken Telefoniestil schon fast lieber, da mir dank Sprachbarriere die Syntax seiner Worte verschleiert bleibt. Nicht so bei der ebenso lautstark telefonierenden Dame schräg hinter mir, deren persönlichen Probleme zu banal sind, um sie weder zu ignorieren noch sich nicht über selbige aufzuregen. Das Leben ist eine Prüfung und manchmal hab ich das Gefühl mal wieder einfach nicht gut genug vorbereitet gewesen zu sein … Anm.: Der Kerl und das Mädel haben sich sogar schon Handcreme geteilt!
Die Reise geht weiter. Bielefeld. Bielefeld? Bielefeld! Es gibt Bielefeld. Zumindest spricht, nachdem wir den Hauptbahnhof angefahren sind, einiges dafür. Man könnte sagen die Chancen für Bielefeld Existenz stehen höher denn je. Vielleicht waren aber auch all die Gebäude nur Kulisse. Ich kann mich auch an kein fahrendes Auto oder ähnliches erinnern. Oh je, Bielefeld ist wohl doch eine Verschwörung.
Es findet eine weitere demographische, waggoninterne Umschichtung statt. Die Umgebung bekommt einen beinahe angenehmen Charakter. Besonders, als das arme Mädchen von nebenan endlich aussteigen darf. Anhand der Verabschiedung muss man annehmen, dass diese Geschichte wohl hier auch ihr jähes Ende findet.
Ich fühle mich auf dem Endspurt zum Zen der Reise, als nun schräg vorne und somit zu allem Überfluss voll in meinem Blickfeld ein Grüppchen Oberstufler oder Erstis sich in einem Vierer niederlassen, deren Konversationsniveau ähnlich berauschend ist wie Bingoabende bei Tante Hildegard. Aber um mir den oben erwähnten Endspurt endgültig zu versauen, fragt mich nun die Ohrenfrikadellenfabrik von nebenan, ob nicht kurz mein Handy für einen Anruf ins Festnetz nutzen dürfe. „Ich habe keine Freiminuten“ war das erste was mir einfiel und so übte ich meine kleine, persönliche Rache für den akustischen Terror der letzten Stunden. Mein Karmakonto für heute schreibt dicke rote Zahlen, aber ich fühle ein klein wenig besser. Lustig wie das so funktioniert.
„Baden wie in 1001 Nacht“, liest meine Freundin vor. Ich schau aus dem Fenster. Ein Freizeitbunker für Badefetischisten schmückt die Landschaft. An der Seite eine im Freien stehende Tunnelrutsche. „Baden wie 1001 Nacht …“, wiederhole ich. Ich versuche mir das Szenario vorzustellen. In der Wüste. Eine Tunnelrutsche aus leichtem Kunststoff. In der Sonne. Baden? Oder garen? Ich stelle mir eine fernöstliche Dampfgarvariante vor, bei der die Speise durch die spiralförmige Rutsche gejagt wird, wodurch auch die Gewürze auf eine vollkommen neue und innovative Art und Weise in die Mahlzeit einziehen und diese verzehrfertig unten rauskommt. Ausgebufft diese Morgenländer … ausgebufft diese Morgenländer …

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