Klingeltöne. Klingeltöne haben ja
die Funktion, uns darüber zu informieren, dass wir angerufen werden. Deshalb
sollten sie definitiv zwei Eigenschaften mitbringen: 1) Man sollte sie vom
öffentlichen Störgeräusch (eigentlich eine wirklich nette Umschreibung für
andere Menschen) differenzieren können und 2) sollten sie laut genug sein, um
ihren wohligen Klang aus der Handytasche heraus in unsere Ohren hinein zu
transportieren. Ich bin zum Beispiel eine Niete darin einen Klingelton zu
finden der Kategorie 1) erfüllt, ohne dass er mich gleichzeitig dazu veranlasst
mein Handy – Entschuldigung - Smartphone in Kleinteile zu zertreten; das wäre
auf Dauer doch recht teuer. Kategorie 2) wird übrigens in diesem Fall auch
obsolet, weshalb ich beim guten, alten Vibrationsalarm bleibe. Worauf ich nun
hinauswill ist der asiatische Herr hinter mir (ich maße mir einfach mal nicht
an seine Nationalität zu bestimmen), der in unregelmäßigen Abständen angerufen
wird. Der Klingelton lässt sich weitgehend als nervenaufreibende Symbiose aus
melodischem Pfeifen und unerotischem Stöhnen beschreiben, welche das allseits
beliebte Weihnachtslied „Jingle Bells“ vollkommen neu zu interpretieren
versucht - im MÄRZ! Er scheint also ein
euphorischer Weihnachtsfan zu sein … - mit der gängigen Lautstärke eines Rockkonzerts
– Ich spreche da aus Erfahrung. Dieser Klingelton sowie dessen Lautstärke
lassen ihn deutlich als überambitioniert erscheinen.
Dies bringt mich direkt zum
nächsten Punkt: Gespräche. Direkt neben mir sitzen eine junge Dame und ein
Herr, der später eingestiegen ist. Aus dem Verlauf des Gesprächs lässt sich
schnell interpretieren, dass die beiden sich zuvor nicht kannten. Der Mann ist
für seine mangelnde Berührungsangst zu beneiden, die Lady für ihre Sitznachbarn
aber leider nicht, denn dieser kann reden wie ein Waschweib. Vielleicht bin ich
einfach so unsozial und vielleicht sieht sie ja Potenzial in ihm, aber
unabhängig davon, wie die Geschichte der Beiden in den nächsten Stunden und
Jahren weitergeht, finde ich dieses ununterbrochene Gequatsche ziemlich
brecheerregend. Da ist mir der Asiate mit seinem lautstarken Telefoniestil
schon fast lieber, da mir dank Sprachbarriere die Syntax seiner Worte
verschleiert bleibt. Nicht so bei der ebenso lautstark telefonierenden Dame
schräg hinter mir, deren persönlichen Probleme zu banal sind, um sie weder zu
ignorieren noch sich nicht über selbige aufzuregen. Das Leben ist eine Prüfung
und manchmal hab ich das Gefühl mal wieder einfach nicht gut genug vorbereitet
gewesen zu sein … Anm.: Der Kerl und das
Mädel haben sich sogar schon Handcreme geteilt!
Die Reise geht weiter. Bielefeld.
Bielefeld? Bielefeld! Es gibt Bielefeld. Zumindest spricht, nachdem wir den
Hauptbahnhof angefahren sind, einiges dafür. Man könnte sagen die Chancen für
Bielefeld Existenz stehen höher denn je. Vielleicht waren aber auch all die
Gebäude nur Kulisse. Ich kann mich auch an kein fahrendes Auto oder ähnliches
erinnern. Oh je, Bielefeld ist wohl doch eine Verschwörung.
Es findet eine weitere
demographische, waggoninterne Umschichtung statt. Die Umgebung bekommt einen
beinahe angenehmen Charakter. Besonders, als das arme Mädchen von nebenan
endlich aussteigen darf. Anhand der Verabschiedung muss man annehmen, dass
diese Geschichte wohl hier auch ihr jähes Ende findet.
Ich fühle mich auf dem Endspurt
zum Zen der Reise, als nun schräg vorne und somit zu allem Überfluss voll in
meinem Blickfeld ein Grüppchen Oberstufler oder Erstis sich in einem Vierer
niederlassen, deren Konversationsniveau ähnlich berauschend ist wie Bingoabende
bei Tante Hildegard. Aber um mir den oben erwähnten Endspurt endgültig zu
versauen, fragt mich nun die Ohrenfrikadellenfabrik von nebenan, ob nicht kurz
mein Handy für einen Anruf ins Festnetz nutzen dürfe. „Ich habe keine
Freiminuten“ war das erste was mir einfiel und so übte ich meine kleine,
persönliche Rache für den akustischen Terror der letzten Stunden. Mein
Karmakonto für heute schreibt dicke rote Zahlen, aber ich fühle ein klein wenig
besser. Lustig wie das so funktioniert.
„Baden wie in 1001 Nacht“, liest
meine Freundin vor. Ich schau aus dem Fenster. Ein Freizeitbunker für
Badefetischisten schmückt die Landschaft. An der Seite eine im Freien stehende
Tunnelrutsche. „Baden wie 1001 Nacht …“, wiederhole ich. Ich versuche mir das
Szenario vorzustellen. In der Wüste. Eine Tunnelrutsche aus leichtem
Kunststoff. In der Sonne. Baden? Oder garen? Ich stelle mir eine fernöstliche
Dampfgarvariante vor, bei der die Speise durch die spiralförmige Rutsche gejagt
wird, wodurch auch die Gewürze auf eine vollkommen neue und innovative Art und
Weise in die Mahlzeit einziehen und diese verzehrfertig unten rauskommt.
Ausgebufft diese Morgenländer … ausgebufft diese Morgenländer …
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